Camill Hoffmann in inniger Freundschaft Aber das ist die Geschichte aller jungen Mädchen, dieser sanften Dulderinnen. Sie sagen nie, daß sie leiden. Die Frauen sind zum Dulden geschaffen. Es ist gewiß so ihr Schicksal, sie erfahren es früh und sind darüber so wenig erstaunt, daß sie noch immer sagen, das Übel sei nicht da, wenn es längst gekommen...... Barbey d'Aurévilly. Erika Ewald trat langsam ein, mit dem vorsichtig-leisen Gang einer Zuspätkommenden. Der Vater und die Schwester saßen schon beim Abendessen; beim Geräusch der Türe blickten sie auf, um der Eintretenden flüchtig zuzunicken, dann klang nur wieder das Klingen der Teller und das Klappern der Messer durch den matterhellten Raum. Gesprochen wurde selten, nur hie und da fiel ein Wort, und das flatterte wie ein aufgeworfenes Blatt haltlos in der Luft, um dann ermattet zu Boden zu sinken. Sie hatten sich alle wenig zu sagen. Die Schwester war unscheinbar und häßlich; eine jahrelange Erfahrung, stets überhört oder bespöttelt zu werden, hatte ihr jene altjüngferliche stumpfe Resignation gegeben, die jeden Tag mit einem Lächeln scheiden sieht. Den Vater hatte eine langjährige gleichfarbige Bureautätigkeit der Welt entfremdet, und insbesondere seit dem Tode seiner Frau umfing ihn jene harte Verstimmung und trotzige Schweigsamkeit, mit der alte Leute gerne ihre physischen Leiden verbergen. Auch Erika schwieg meistens an diesen eintönigen Abenden. Sie fühlte es, daß sich gegen die graue Stimmung, die sich wie dicke drohende Wetterwolken über diese Stunden legte, nicht ankämpfen lasse. Und dann war sie zu müde dazu. Die quälende Tagesarbeit, die sie von Stunde zu Stunde hetzte und sie zwang, Disharmonieen, tastende Akkorde, unmusikalische Brutalitäten mit rastloser Sanftmut zu ertragen, löste in ihr ein dumpfes Ruhebedürfnis aus, ein wortloses Verströmen aller Empfindungen, die die Gewalt des Tages überwuchert hatte. Sie liebte es, in diesen wachen Träumen sich selbst anzuvertrauen, weil ihr eine fast überreizte Schamhaftigkeit nie gestattete, anderen nur eine Andeutung ihrer seelischen Erlebnisse zu geben, ob auch ihre Seele unter dem Drucke ihrer ungesprochenen Worte bebte, wie ein überreifer Obstbaumzweig unter der Last seiner Früchte schwankt. Und nur ein leichter, ganz unmerklich feiner Zug um die schmalen blassen Lippen verriet, daß Kampf und Ringen in ihr war und eine unbändige Sehnsucht, die sich nicht von Worten tragen lassen wollte und nur manchmal ein wildes Beben um den festgeschlossenen Mund legte wie von jähem Schluchzen. Das Abendessen war bald zu Ende. Der Vater erhob sich, sagte kurz einen Gutenachtgruß und ging in sein Zimmer, um sich die Pfeife anzuzünden. Das war so jeden Tag in diesem Hause, wo auch die gleichgültigste Tätigkeit zu starrer Gewohnheit versteinerte. Und auch Jeanette, ihre Schwester holte sich wie immer ihr Nähzeug her und begann beim Lampenlicht, stark vorgebeugt wegen ihrer Kurzsichtigkeit, mechanisch zu sticken. Erika ging in ihr Zimmer und begann sich langsam zu entkleiden. Es war diesmal noch sehr früh. Sonst pflegte sie bis tief in die Nacht hinein zu lesen, oder sie lehnte in einem süßen Gefühle am Fenster und blickte hoch von oben über die hellen mondscheinbeleuchteten Dächer, die sich in lichter Silberflut badeten. Sie hatte da nie klare, zielstrebende Gedanken, nur das unbestimmte Gefühl einer Liebe für das Schimmernde, Blitzende und doch so sanft Verströmende des Mondlichtes, das die Tausende von Scheiben blank spiegelte, hinter denen sich die Geheimnisse des Lebens bargen. Aber heute empfand sie eine sanfte Mattigkeit, eine selige Schwere, die sich sehnt von milden, warm anschmiegenden Decken getragen zu werden. Eine Schläfrigkeit, die nichts anderes ist als Sehnsucht nach süßen, seligen Träumen, rann durch alle Glieder wie ein sacht erkaltendes, betäubendes Gift. Sie raffte sich auf, warf beinahe mit Hast die letzten Kleidungsstücke von sich, verlöschte die Kerze. Einen Augenblick noch und dann dehnte sie sich im Bette
Camill Hoffmann in inniger Freundschaft Aber das ist die Geschichte aller jungen Mädchen, dieser sanften Dulderinnen. Sie sagen nie, daß sie leiden. Die Frauen sind zum Dulden geschaffen. Es ist gewiß so ihr Schicksal, sie erfahren es früh und sind darüber so wenig erstaunt, daß sie noch immer sagen, das Übel sei nicht da, wenn es längst gekommen...... Barbey d'Aurévilly. Erika Ewald trat langsam ein, mit dem vorsichtig-leisen Gang einer Zuspätkommenden. Der Vater und die Schwester saßen schon beim Abendessen; beim Geräusch der Türe blickten sie auf, um der Eintretenden flüchtig zuzunicken, dann klang nur wieder das Klingen der Teller und das Klappern der Messer durch den matterhellten Raum. Gesprochen wurde selten, nur hie und da fiel ein Wort, und das flatterte wie ein aufgeworfenes Blatt haltlos in der Luft, um dann ermattet zu Boden zu sinken. Sie hatten sich alle wenig zu sagen. Die Schwester war unscheinbar und häßlich; eine jahrelange Erfahrung, stets überhört oder bespöttelt zu werden, hatte ihr jene altjüngferliche stumpfe Resignation gegeben, die jeden Tag mit einem Lächeln scheiden sieht. Den Vater hatte eine langjährige gleichfarbige Bureautätigkeit der Welt entfremdet, und insbesondere seit dem Tode seiner Frau umfing ihn jene harte Verstimmung und trotzige Schweigsamkeit, mit der alte Leute gerne ihre physischen Leiden verbergen. Auch Erika schwieg meistens an diesen eintönigen Abenden. Sie fühlte es, daß sich gegen die graue Stimmung, die sich wie dicke drohende Wetterwolken über diese Stunden legte, nicht ankämpfen lasse. Und dann war sie zu müde dazu. Die quälende Tagesarbeit, die sie von Stunde zu Stunde hetzte und sie zwang, Disharmonieen, tastende Akkorde, unmusikalische Brutalitäten mit rastloser Sanftmut zu ertragen, löste in ihr ein dumpfes Ruhebedürfnis aus, ein wortloses Verströmen aller Empfindungen, die die Gewalt des Tages überwuchert hatte. Sie liebte es, in diesen wachen Träumen sich selbst anzuvertrauen, weil ihr eine fast überreizte Schamhaftigkeit nie gestattete, anderen nur eine Andeutung ihrer seelischen Erlebnisse zu geben, ob auch ihre Seele unter dem Drucke ihrer ungesprochenen Worte bebte, wie ein überreifer Obstbaumzweig unter der Last seiner Früchte schwankt. Und nur ein leichter, ganz unmerklich feiner Zug um die schmalen blassen Lippen verriet, daß Kampf und Ringen in ihr war und eine unbändige Sehnsucht, die sich nicht von Worten tragen lassen wollte und nur manchmal ein wildes Beben um den festgeschlossenen Mund legte wie von jähem Schluchzen. Das Abendessen war bald zu Ende. Der Vater erhob sich, sagte kurz einen Gutenachtgruß und ging in sein Zimmer, um sich die Pfeife anzuzünden. Das war so jeden Tag in diesem Hause, wo auch die gleichgültigste Tätigkeit zu starrer Gewohnheit versteinerte. Und auch Jeanette, ihre Schwester holte sich wie immer ihr Nähzeug her und begann beim Lampenlicht, stark vorgebeugt wegen ihrer Kurzsichtigkeit, mechanisch zu sticken. Erika ging in ihr Zimmer und begann sich langsam zu entkleiden. Es war diesmal noch sehr früh. Sonst pflegte sie bis tief in die Nacht hinein zu lesen, oder sie lehnte in einem süßen Gefühle am Fenster und blickte hoch von oben über die hellen mondscheinbeleuchteten Dächer, die sich in lichter Silberflut badeten. Sie hatte da nie klare, zielstrebende Gedanken, nur das unbestimmte Gefühl einer Liebe für das Schimmernde, Blitzende und doch so sanft Verströmende des Mondlichtes, das die Tausende von Scheiben blank spiegelte, hinter denen sich die Geheimnisse des Lebens bargen. Aber heute empfand sie eine sanfte Mattigkeit, eine selige Schwere, die sich sehnt von milden, warm anschmiegenden Decken getragen zu werden. Eine Schläfrigkeit, die nichts anderes ist als Sehnsucht nach süßen, seligen Träumen, rann durch alle Glieder wie ein sacht erkaltendes, betäubendes Gift. Sie raffte sich auf, warf beinahe mit Hast die letzten Kleidungsstücke von sich, verlöschte die Kerze. Einen Augenblick noch und dann dehnte sie sich im Bette