Das Urteil

Fiction & Literature, Literary Theory & Criticism, European, German
Cover of the book Das Urteil by Franz Kafka, GRIN Verlag
View on Amazon View on AbeBooks View on Kobo View on B.Depository View on eBay View on Walmart
Author: Franz Kafka ISBN: 9783640229734
Publisher: GRIN Verlag Publication: December 11, 2008
Imprint: GRIN Verlag Language: German
Author: Franz Kafka
ISBN: 9783640229734
Publisher: GRIN Verlag
Publication: December 11, 2008
Imprint: GRIN Verlag
Language: German

Klassiker aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, , Veranstaltung: -, Sprache: Deutsch, Abstract: Für Fräulein Felice B. Es war an einem Sonntagvormittag im schönsten Frühjahr. Georg Bendemann, ein junger Kaufmann, saß in seinem Privatzimmer im ersten Stock eines der niedrigen, leichtgebauten Häuser, die entlang des Flusses in einer langen Reihe, fast nur in der Höhe und Färbung unterschieden, sich hinzogen. Er hatte gerade einen Brief an einen sich im Ausland befindenden Jugendfreund beendet, verschloß ihn in spielerischer Langsamkeit und sah dann, den Ellbogen auf den Schreibtisch gestützt, aus dem Fenster auf den Fluß, die Brücke und die Anhöhen am anderen Ufer mit ihrem schwachen Grün. Er dachte darüber nach, wie dieser Freund, mit seinem Fortkommen zu Hause unzufrieden, vor Jahren schon nach Rußland sich förmlich geflüchtet hatte. Nun betrieb er ein Geschäft in Petersburg, das anfangs sich sehr gut angelassen hatte, seit langem aber schon zu stocken schien, wie der Freund bei seinen immer seltener werdenden Besuchen klagte. So arbeitete er sich in der Fremde nutzlos ab, der fremdartige Vollbart verdeckte nur schlecht das seit den Kinderjahren wohlbekannte Gesicht, dessen gelbe Hautfarbe auf eine sich entwickelnde Krankheit hinzudeuten schien. Wie er erzählte, hatte er keine rechte Verbindung mit der dortigen Kolonie seiner Landsleute, aber auch fast keinen gesellschaftlichen Verkehr mit einheimischen Familien und richtete sich so für ein endgültiges Junggesellentum ein. Was sollte man einem solchen Manne schreiben, der sich offenbar verrannt hatte, den man bedauern, dem man aber nicht helfen konnte. Sollte man ihm vielleicht raten, wieder nach Hause zu kommen, seine Existenz hierher zu verlegen, alle die alten freundschaftlichen Beziehungen wieder aufzunehmen - wofür ja kein Hindernis bestand - und im übrigen auf die Hilfe der Freunde zu vertrauen? Das bedeutete aber nichts anderes, als [54?]daß man ihm gleichzeitig, je schonender, desto kränkender, sagte, daß seine bisherigen Versuche mißlungen seien, daß er endlich von ihnen ablassen solle, daß er zurückkehren und sich als ein für immer Zurückgekehrter von allen mit großen Augen anstaunen lassen müsse, daß nur seine Freunde etwas verstünden und daß er ein altes Kind sei, das den erfolgreichen, zu Hause gebliebenen Freunden einfach zu folgen habe. Und war es dann noch sicher, daß alle die Plage, die man ihm antun müßte, einen Zweck hätte? [...]

View on Amazon View on AbeBooks View on Kobo View on B.Depository View on eBay View on Walmart

Klassiker aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, , Veranstaltung: -, Sprache: Deutsch, Abstract: Für Fräulein Felice B. Es war an einem Sonntagvormittag im schönsten Frühjahr. Georg Bendemann, ein junger Kaufmann, saß in seinem Privatzimmer im ersten Stock eines der niedrigen, leichtgebauten Häuser, die entlang des Flusses in einer langen Reihe, fast nur in der Höhe und Färbung unterschieden, sich hinzogen. Er hatte gerade einen Brief an einen sich im Ausland befindenden Jugendfreund beendet, verschloß ihn in spielerischer Langsamkeit und sah dann, den Ellbogen auf den Schreibtisch gestützt, aus dem Fenster auf den Fluß, die Brücke und die Anhöhen am anderen Ufer mit ihrem schwachen Grün. Er dachte darüber nach, wie dieser Freund, mit seinem Fortkommen zu Hause unzufrieden, vor Jahren schon nach Rußland sich förmlich geflüchtet hatte. Nun betrieb er ein Geschäft in Petersburg, das anfangs sich sehr gut angelassen hatte, seit langem aber schon zu stocken schien, wie der Freund bei seinen immer seltener werdenden Besuchen klagte. So arbeitete er sich in der Fremde nutzlos ab, der fremdartige Vollbart verdeckte nur schlecht das seit den Kinderjahren wohlbekannte Gesicht, dessen gelbe Hautfarbe auf eine sich entwickelnde Krankheit hinzudeuten schien. Wie er erzählte, hatte er keine rechte Verbindung mit der dortigen Kolonie seiner Landsleute, aber auch fast keinen gesellschaftlichen Verkehr mit einheimischen Familien und richtete sich so für ein endgültiges Junggesellentum ein. Was sollte man einem solchen Manne schreiben, der sich offenbar verrannt hatte, den man bedauern, dem man aber nicht helfen konnte. Sollte man ihm vielleicht raten, wieder nach Hause zu kommen, seine Existenz hierher zu verlegen, alle die alten freundschaftlichen Beziehungen wieder aufzunehmen - wofür ja kein Hindernis bestand - und im übrigen auf die Hilfe der Freunde zu vertrauen? Das bedeutete aber nichts anderes, als [54?]daß man ihm gleichzeitig, je schonender, desto kränkender, sagte, daß seine bisherigen Versuche mißlungen seien, daß er endlich von ihnen ablassen solle, daß er zurückkehren und sich als ein für immer Zurückgekehrter von allen mit großen Augen anstaunen lassen müsse, daß nur seine Freunde etwas verstünden und daß er ein altes Kind sei, das den erfolgreichen, zu Hause gebliebenen Freunden einfach zu folgen habe. Und war es dann noch sicher, daß alle die Plage, die man ihm antun müßte, einen Zweck hätte? [...]

More books from GRIN Verlag

Cover of the book Der Gewässerschutzbeauftragte by Franz Kafka
Cover of the book Mission and Vision Statements in the German Mittelstand. A Research Proposal by Franz Kafka
Cover of the book Erziehung und Kommunikation - Die Transaktionsanalyse im systemtheoretischen Kontext by Franz Kafka
Cover of the book RaumZeitWärmePlastik - Der Begriff des Raumes bei Joseph Beuys by Franz Kafka
Cover of the book Der Umgang mit dem Sühnebegriff in der frühen Bundesrepublik am Beispiel der Reaktion der Evangelischen Kirche auf die Aktion Sühnezeichen (1958 - 1964) by Franz Kafka
Cover of the book Der Tugendhafte (spoudaios, phronimos) in der Tugendethik - Vom Vorrang des Besonderen gegenüber dem Allgemeinen by Franz Kafka
Cover of the book Wie verärgerte Kunden wieder eingefangen werden by Franz Kafka
Cover of the book Ursachen von Vergessen by Franz Kafka
Cover of the book Der Heimbeirat in Einrichtungen der Behindertenhilfe by Franz Kafka
Cover of the book Werbung im deutschen Fernsehen by Franz Kafka
Cover of the book Geologische Kartierung im südlichen Bergsträsser Odenwald; Blatt 6418 Weinheim by Franz Kafka
Cover of the book Die Empfehlungsbriefe von Plinius dem Jüngeren in politischen Angelegenheiten by Franz Kafka
Cover of the book Die Krise der Demokratie Boliviens: Demokratisierung als Antwort? by Franz Kafka
Cover of the book Das Verhältnis von Realität und Fiktion in Isabel Allendes Roman 'Von Liebe und Schatten' by Franz Kafka
Cover of the book Zwischen Manipulation und politischer Partizipation by Franz Kafka
We use our own "cookies" and third party cookies to improve services and to see statistical information. By using this website, you agree to our Privacy Policy